Sollte man die WM 2022 in Katar boykottieren?

An der WM 2022 in Katar wurde seit der Vergabe immer mehr Kritik breit. Doch sollte man die WM 2022 in Katar boykottieren?

Sollte man die WM 2022 in Katar boykottieren?
Quelle: IMAGO / PA Images

Bereits bevor die WM 2022 in Katar stattfindet, steht bereits fest: Sie wird wie kein anderes WM-Turnier zuvor sein. Das liegt nicht nur daran, dass es die erste WM sein wird, die im Winter stattfindet, sondern hat noch viele andere Gründe. Selten wurde eine WM bereits im Vorfeld derart kritisch beäugt wie die anstehende Weltmeisterschaft im Emirat auf der arabischen Halbinsel. Daher stellt sich für verhältnismäßig viele Menschen die Frage, ob sie die WM in Katar boykottieren sollten.


Doch was spricht für einen Boykott der WM in Katar? Schließlich ist, im Zuge der anstehenden WM, auch immer von Wandel durch Annäherung die Rede.

Laut dem US-amerikanischen Justizministerium soll die WM 2022 in Katar gekauft worden sein
Quelle: IMAGO / Ulmer

# 1 Die gekaufte WM

Wie der Spiegel und auch die New York Times 2020 unter Berufung auf das US-amerikanische Justizministerium berichteten, soll die WM 2022 gekauft worden sein. Dies gelte auch für die Turniere der WM 2010 in Südafrika und des Turnieres 2018 in Russland. Der damalige FIFA-Funktionär Jack Warner, der auch Mitglied im FIFA-Exekutivkomitees war - also das Komitee durch dessen Stimme die WM-Vergabe entschieden wird - wurde nach Ermittlungen der FIFA-Ethikkommission beispielsweise lebenslang gesperrt und zudem von einem New Yorker Bundesgericht zu einer Strafzahlung in Höhe von 79 Millionen US-Dollar verurteilt.
Nach der Vergabe der FIFA-Weltmeisterschaft an Katar im Dezember 2010 wurden immer mehr Stimmen laut, das Turnier sei gekauft. Mit Blick auf die Ermittlungen der US-amerikanischen Justizbehörden, scheint sich dieser Verdacht immer weiter erhärtet zu haben.

Bei dem Bau der Stadien sind laut Guardian 6.500 Arbeiter gestorben
Quelle: IMAGO / Xinhua

# 2 Die Toten der WM-Baustellen

Bis heute lässt sich die Zahl der Arbeitsunfälle mit Todesfolge auf den WM-Baustellen nicht genau beziffern. Amnesty International schätzt unter Berufung auf Statistiken die Zahl der Todesfälle von Arbeitsmigranten in Katar im Zeitraum von 2010 bis 2019 auf mehr als 15.000. Die britische Zeitung The Guardian  geht davon aus, dass alleine auf den WM-Baustellen 6.500 Arbeiter ihr Leben gelassen haben. Auch der Tagesspiegel schreibt, dass die Dunkelziffer höher liegen dürfte, da „Zahlen aus den Philippinen und Kenia“ fehlen würden.

Das Kafala-System in Katar wurde im Zuge der WM 2022 besonders oft kritisiert
Quelle: IMAGO / MIS

# 3 Das Kafala-System

Als besonders problematisch im Hinblick auf die desaströsen Arbeitsbedingungen in Katar gilt das Kafala-System. Dadurch wurden beispielsweise Pässe der Arbeitsmigranten vom Arbeitgeber konfisziert und das Arbeitsverhältnis konnte nur in Einverständnis mit dem Arbeitgeber beendet werden, nicht einseitig des Arbeitnehmers. Den Arbeitgebern war es zudem möglich Arbeiter für "Vergehen" zu inhaftieren. Wie der Sportausschuss des deutschen Bundestags berichtete, bestehe die Rechtsgrundlage für dieses System nicht länger. Dennoch hat es bei den WM-Baustellen dazu geführt, dass Arbeitsmigranten letztendlich gegen ihren Willen festgehalten werden konnten. Auch Amnesty International erkennt laut dem Sportausschuss des deutschen Bundestags die angestoßenen Reformen an.

Auch die Frauenrechte in Katar werden scharf kritisiert
Quelle: IMAGO / Joerg Boethling

# 4 Frauenrechte in Katar

Laut Human Rights Watch ist besonders die männliche Vormundschaft in Katar ein großes Problem. Dabei hat Human Rights Watch diverse Gesetze geprüft und mit der Regierung Interviews geführt. Frauen müssten dabei laut HRW „die Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen müssen, um zu heiraten". Dies geschehe laut Human Rights Watch unabhängig von Alter oder Familienstand. In vielen alltäglichen Dingen hätten sie laut Human Rights Watch keine Befugnis unabhängige Entscheidungen zu treffen - dies betreffe Dokumente, Finanzen Reisen, teilweise auch die Schulbildung und medizinische Versorgung der Kinder. Laut Human Rights Watch führe die „gesetzliche Diskriminierung in Bezug auf Ehescheidungen und Entscheidungen bezüglich der Kinder [...] dazu, dass viele Frauen in Beziehungen mit gewalttätigen Partnern gefangen sind und oft Jahre auf eine Scheidung warten."

Die Rechte der LGBTQ-Gemeinde sind in Katar in der Kritik
Quelle: IMAGO / ZUMA Wire

# 5 Rechte der LGBTQI+-Gemeinde

Zwar stellte der Vorsitzende des WM-Organisationskomitees Nasser Al-Khater in einem Interview mit CNN klar, dass „jeder willkommen sei" bei der WM in Katar. Allerdings wird von einigen Seiten bezweifelt, dass eine Anreise in den Golfstaat aufgrund von einigen Gesetzen in Katar so unproblematisch für Mitglieder der LGBTQI+-Gemeinde sei. Wie auch die Sportschau berichtete, ist Homosexualität „in Katar nach wie vor verboten, die Strafen sehen Auspeitschen, Inhaftierung oder sogar die Todesstrafe vor — wobei letztere zumindest nach Erkenntnissen von Menschrechtsorganisationen bislang nicht vollstreckt worden ist." Und auch Al-Khater räumte mehr oder weniger ein, dass die Toleranz auch ein paar Grenzen in Bezug auf homosexueller Menschen hat, schließlich wies er darauf hin, dass Katar „offen gezeigte Zuneigung in der Öffentlichkeit" sehr konservativ sieht.

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WM-Botschafter schockiert mit homophober Aussage

Der ehemalige katarische Nationalspieler Khalid Salman ist der WM Botschafter 2022 zeigt im Interview mit ZDF-Reporter Jochen Breyer ein Gesicht, dass für viele ziemlich schockierend aber in Katar und dem vorherrschenden System kein Einzelfall ist. Weswegen der Lesben und Schwulenverband (LSVD) eine Reisewarnung für queere Fans fordert. Was genau passiert ist, erfahrt ihr im Video.

In Katar ist Fußball die beliebteste Sportart
Quelle: IMAGO / NurPhoto

# 6 Fehlt Katar die Fußballkultur?

Oftmals wurde im Zuge der Vergabe auch kritisiert, dass Katar die Fußballkultur fehlen würde. Schließlich sei Katar nicht ein einziges Mal für eine WM qualifiziert gewesen. Dass Katar im internationalen Fußball keine nennenswerte Rolle als Fußballnation, sondern eher als Investor spielt, können wohl wenige bestreiten. Allerdings ist in anderen Bewerberländern für die WM 2022 wie Australien oder die USA Fußball auch nicht die Sportart Nummer 1, sondern andere Sportarten sind dort durchaus populärer vertreten. In Katar hingegen ist der Fußball tatsächlich die beliebteste Sportart und dementsprechend auch der Nationalsport, sodass das wohl kein besonders gewichtiges Argument sein kann, die WM nicht nach Katar zu vergeben. Zumal die letzten beiden anderen Bewerber für das Turnier Japan und Südkorea das Turnier bereits 2002 ausgerichtet hatten und eine erneute Vergabe so kurze Zeit später ebenfalls Fläche für Kritik geboten hätte.

Dass die WM 2022 in Katar im Winter stattfindet sorgte für Proteste
Quelle: IMAGO / HJS

# 7 WM im Winter

Auch dass die WM 2022 in Katar im Winter stattfindet - ein historisches Novum für dieses Turnier - legt nahe, dass es nicht unbedingt darum ging, ein Turnier an das Land zu vergeben, dass am besten dafür geeignet ist eine WM auszurichten. Nicht nur in Deutschland freuen sich die Menschen eine WM beim Grillen im Garten oder beim gemeinsamen Public Viewing zu verfolgen. Für viele ist die WM nun einmal "Bier und Bratwurst" und nicht "Glühwein und Plätzchen". So bewegen wir uns auf ein Turnier zu, dass sich bereits vorher für viele nicht wie eine typische WM anfühlt.

Die Annäherung der Systeme wird von Gegnern der Kritik an der WM in Katar oft genannt
Quelle: IMAGO / Gerry Schmit

#8 Annäherung der Systeme?

Immer wieder wird von Gegnern eines WM-Boykotts vor allem darauf verwiesen, dass es um eine Annäherung der Systeme ginge und diese dabei helfen würde, die Bedingungen in Katar zu verbessern. Und tatsächlich muss man sagen, dass die Abschaffung des Kafala-Systems durch die kritische Berichterstattung, die international aus vielen Ecken der Welt auf das Land einprasselte, sicherlich dazu beigetragen haben wird, das Kafala-System in Katar ihrer Rechtsgrundlage zu entziehen.

Sollte man die WM in Katar boykottieren?
Quelle: IMAGO / Jan Huebner

Sollte man die WM boykottieren? 

Im Kontext der Veränderung der Rechtsgrundlage des Kafala-Systems zeigt sich allerdings auch, wie wichtig es ist die entsprechende Kritik zu üben, die sich durch die Ausrichtung der WM in Katar ergeben hat. Und muss man nicht auch die Frage stellen, ob nicht auch eine Annäherung dadurch möglich wäre, dass man im Vorhinein humanitäre Bedingungen an ein Gastgeberland einer entsprechenden kulturellen Großveranstaltung wie einer Fußball-Weltmeisterschaft stellt?

Zudem müssen sich im Hinblick auf die Ermittlungen des US-Justizministeriums einige Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees die Frage gefallen lassen, ob tatsächlich kulturelle Annäherung, eine Verbindung der Welten und der Werte und andere philanthropische Zielvorstellungen tatsächlich ausschlaggebend waren die WM nach Katar zu vergeben oder ob die Entscheidung weniger gemeinnützige Hintergründe hatte.

Was man an dem Turnier allerdings nicht vergessen darf: Katar ist nicht das einzige Land mit einer prekären Menschenrechtslage. Mit Hinblick auf das Turnier sind in diesem Land zumindest Reformen in Gang gebracht worden, womit wenigstens eine ganz leise Hoffnung einhergeht, dass sich die Situation in Katar sukzessive verbessern könnte. Der Blick der Weltöffentlichkeit ist durch die WM noch einmal stärker auf Katar gerichtet worden. Zugleich muss man aber auch klar sagen, dass die Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter in den anderen Bewerberländern ungleich bessere gewesen wären und 6.500 Menschen, von denen jedenfalls der Guardian berichtet, für ein Fußballturnier ihr Leben lassen mussten. Für Stadien in der Wüste, die danach wohl nie wieder entsprechend gefühlt werden können oder wie der Stern berichtete teilweise sogar direkt wieder abgebaut werden.

Die Entscheidung, ob man das Turnier boykottieren will oder nicht, die bleibt jedem selbst überlassen. Denn natürlich ist es möglich das Turnier kritisch zu sehen, aber letztlich auch nicht darauf verzichten zu wollen ein Turnier wie die WM, das nur alle vier Jahre stattfindet, gar nicht zu verfolgen. Auf der anderen Seite sollte sich jeder, der mit dem Gedanken spielt und noch mit sich ringt, ob er diese WM wirklich sehen will, auch bedenken, dass erst dadurch ein entsprechender Protest signalisiert wird. Denn allen Fußballfans sind Menschenrechte wichtig und nicht jede Entscheidung des FIFA-Exekutivkomitees wird widerstandslos hingenommen, sondern die Fußballgemeinschaft und vor allem die Fans sind in der Lage, sich gegen entsprechende Entwicklungen zur Wehr zu setzen.

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