Therapieplatz in Deutschland finden: Wie schwer ist es wirklich?

Jeden Tag machen sich Menschen in Deutschland auf die Suche nach einem Therapieplatz. Doch wieso ist es so schwer, eine*n Therapeuten*in zu finden?

Viele Menschen suchen lange nach der oder dem richtigen Therapeuten.
Quelle: IMAGO / agefotostock

Schon vor der Corona-Pandemie gab es hitzige öffentliche Diskussionen über psychische Gesundheit und fehlende Therapieplätze, doch die weltweite Pandemie hat das Thema noch mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Ausgelöst durch Schulschließungen, Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren fiel es vielen Menschen schwer, ihren Alltag zu bewältigen. Gewohnte Strukturen fielen weg, wichtige soziale Kontakte mussten wir von einem Tag auf den anderen fast komplett herunterschrauben. Dass das auf das Gemüt schlagen kann, ist nicht verwunderlich. Das RKI berichtet, dass Angstzustände und depressive Symptome in der Bevölkerung im zweiten und dritten Jahr der Pandemie erheblich zunahmen. In dieser Zeit trat eine Frage erneut in den Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses: Wie kann es sein, dass es in Deutschland so schwierig ist, einen Therapieplatz zu finden?

So kommt der Mangel an Therapeut*innen zustande: 

Viele treibt die Suche nach einer Therapeutin zur Verzweiflung.
Quelle: IMAGO / Westend61

Das Problem mit den Kassensitzen

Wer in Deutschland eine Therapie machen möchte und nicht selbst die Kosten dafür tragen kann oder will, muss sich eine Therapeutin oder einen Therapeuten mit Kassensitz suchen. Hier sind wir auch schon bei einem strukturellen Problem angelangt: diese Kassensitze sind in Deutschland beschränkt. Bei Therapiepraxen mit Kassensitz belaufen sich die Wartezeiten derzeit bis zu einem halben Jahr, im Schnitt warten Patient*innen fünf Monate. Wer so lange nicht warten kann oder will, dem bleibt nur die Möglichkeit, selbst für eine Therapie zu zahlen. Selbstzahler*innen müssen sich in der Regel auf Kosten von 40 bis 140€ pro Sitzung einstellen (Gruppentherapien sind am unteren Ende des Spektrums angesiedelt). Laut der Gebührenordnung für Psychotherapeut*innen kostet eine 50-minütige Sitzung Verhaltenstherapie 100,55€, bei der Tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie sind es bei gleicher Behandlungszeit 92,50€. Dass das nicht jede*r stemmen kann, ist selbstredend. 

Zusätzlich bedeutet ein Termin bei einem*einer Therapeut*in nicht gleich, dass es mit der Therapie klappt:

Die Chemie zwischen Therapeutin und Patientin sollte stimmen.
Quelle: IMAGO / Panthermedia

Man muss den*die für sich passende*n Therapeuten*in finden

Ein weiteres Problem, das die Suche nach einem*einer Therapeuten*in verlängern kann, ist, dass die Chemie zwischen der betroffenen Person und dem Therapierenden stimmen muss. Wenn man an den oder die Falsche gerät, können sich die Symptome der Betroffenen sogar verschlechtern. Allerdings gilt es hier zu unterscheiden: Viele Menschen, die sich in eine Therapie begeben, bemerken erstmal eine Verschlechterung ihres Zustandes. Das kann aber auch zum Beispiel daran liegen, dass eventuell tief vergrabene Erinnerungen wieder zum Vorschein treten und die Patient*innen belasten. 

Worauf solltest du bei Therapeut*innen achten?

An bestimmten Merkmalen erkennt man die richtige Therapeutin.
Quelle: IMAGO / Westend61

Woran erkennt man, dass man bei der richtigen Person ist?

Zu allererst lohnt es sich immer, auf sein Bauchgefühl zu hören. Wenn überhaupt keine Sympathie besteht, könnte es ratsam sein, sich anderweitig umzuschauen. Wenn eine Therapeutin oder ein Therapeut wenig Motivation zeigt, an deinen Themen zu arbeiten, kann eine Zusammenarbeit ebenso wenig Sinn ergeben. Wenn einem das Gegenüber außerdem nicht ein Gefühl der Sicherheit und Verbindlichkeit vermittelt, kann es vielen Menschen schwer fallen, sich zu öffnen. Da es genau darum aber in einer Therapie geht, sollte man in diesem Fall erneut die Suche nach einem*einer Therapeuten*in angehen. Natürlich kommt hier wieder erschwerend dazu, dass man dann eventuell nochmals mehrere Monate auf einen Termin bei einer anderen Praxis warten muss. 

Welche psychischen Erkrankungen treten in Deutschland am häufigsten auf?

Vorsicht: Auf den folgenden Seiten geht es um Suizid. Wenn du dich mit dem Thema unwohl fühlst, überspringe die nächsten zwei Seiten oder ließ sie in Anwesenheit einer Vertrauensperson.

Angststörungen zählen zu den häufigsten psychischen Beeinträchtigungen.
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Von diesen psychischen Erkrankungen sind am meisten Menschen betroffen

Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. leiden in Deutschland 27,8 % der Erwachsenen in Deutschland an einer psychischen Erkrankung. Die Dunkelziffer wird jedoch deutlich höher geschätzt. Die Liste der häufigsten psychischen Erkrankungen wird von Angststörungen, Depressionen und Medikamenten- und Alkoholmissbrauch angeführt. Besonders erschreckend ist hierbei eine Zahl: Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden, haben eine kürzere Lebenserwartung, und zwar soll diese 10 Jahre kürzer sein im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung. Dass psychischer Gesundheit genauso große Wichtigkeit zugeschrieben werden sollte wie der physischen, sollte mittlerweile klar sein. 

Auch bei der Diagnostik kann es zu Schwierigkeiten kommen:

Bei Männern werden Depressionen häufig nicht erkannt.
Quelle: IMAGO / Westend61

Genderspezifische Unterschiede

Zusätzlich kann unsere genderspezifische Sozialisierung und die daraus resultierenden Unterschiede im Verhalten eine Diagnose und damit auch die Suche nach dem*der richtigen Therapeuten*in erschweren. So konnte beispielsweise festgestellt werden, dass sich Depressionen bei Männern und Frauen häufig nicht auf die gleiche Weise äußern. Martin Förster verdeutlicht in seiner Arbeit zum Thema „Depression, Geschlecht und Gender“, dass „für Männer, die an einer Depression erkrankt sind, [...] ein geringes Interesse oder wenig Freude an ihren Tätigkeiten typisch [ist]. Die ,weibliche Depression’ ist hingegen durch die Symptome Schlafschwierigkeiten, Müdigkeit, und dem Gefühl der Energielosigkeit charakterisiert.“ Durch eine fälschliche Vorstellung von Depressionen bleibt die Erkrankung bei Männern vergleichsweise häufig unentdeckt. Wenn man bedenkt, dass ein großer Teil von Suiziden auf eine Depression zurückzuführen istmuss man hellhörig werden. Bei einer unbehandelte Depression ist mit einer noch höheren Suizidrate zu rechnen. Es kann bei der Suche nach einem Therapieplatz, wortwörtlich, um Leben und Tod gehen. 

Beschäftigen wir uns zuletzt mit der Frage: Wie sucht man am besten nach einem Therapieplatz?

Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigung helfen bei der Therapieplatzsuche.
Quelle: IMAGO / Westend61

An wen wendet man sich bei der Therapiesuche?

Für viele führt der erste Weg bei der Suche nach einer Therapeutin zum Hausarzt. Allerdings können diese oft auch nur die gängigen Terminservicestellen verweisen. Über den Online Terminservice der Kassenärztlichen Vereinigung können Suchende einen Termin bei Therapeuten*innen der verschiedenen Therapieformen finden und diesen direkt über die Seite buchen. Das nimmt einmal die Hemmschwelle, die viele bei einem Griff zum Hörer empfinden. Außerdem läuft die Suche gezielter ab, da man nicht erstmal zahlreiche Praxen abklappern muss. Zusätzlich ergattert man bei Ausbildungsinstituten, zum Beispiel solche, die zu einer Universität gehören, häufig schneller einen Platz.

Was zuletzt noch wichtig ist: Wenn du merkst, dass du es nicht mehr alleine aus einer Krise oder einer langanhaltenden Verschlechterung deines seelischen Zustandes herauskommst, wende dich an Vertrauenspersonen und suche dir Hilfe. Du wirst überrascht sein, wie viele Menschen bereits Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen gemacht haben. Gemeinsam meistern wir jede noch so aussichtslose Situation um einiges besser. 

Hier haben wir dir eine Liste hilfreicher Links von (ehrenamtlichen) Anlaufstellen in Deutschland zusammengestellt:

https://www.frauenberatung-tara.de/

https://depressionsliga.de/

https://www.deutsche-depressionshilfe.de/start

https://www.krisendienste.bayern/oberbayern/

https://www.telefonseelsorge.de/

https://www.116117.de/de/index.php

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